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expose-am-wegesrand.de Freies museales Sammelprojekt. Online - Offline.
23.05.2024 14:18

Schlangen am Wegesrand (0008-2024)

Im Sommer (2023) sah ich bei zwei Gelegenheiten Schlangen in freier Wildbahn. Oder besser gesagt waren es Erlebnisse bei denen sich Menschen begegneten, weil sie Schlangen über den Weg liefen.

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Bei der ersten Begegnung war ich alleine unterwegs, als mir ein Mann am Straßenrand auffiel, der auf etwas starrte: Da lag eine Schlange.

Bald darauf war ich in Begleitung meines Freundes unterwegs. Diesmal war es ein Pärchen, das am Straßenrand stand und starrte: Wieder war es eine Schlange. Außer Blindschleichen, die zur Gattung der Echsen zählen, habe ich bis dahin nur zweimal Schlangen in freier Wild-bahn gesehen. Und das war schon etliche Jahre her.

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Erste Begegnung (52°50'41.4"N 8°43'54.2"E)
Bassum, Eschenhäuser Straße / Ecke Rosenweg

Das erste Erlebnis ereignete sich in meinem Wohnort Bassum. Es muss im August gewesen sein. Wie so oft fuhr ich mit dem Rad von Eschenhausen über die Fußgängerbrücke Richtung Innenstadt. Die kleine Brücke überquert die Bahnlinie Bremen-Osnabrück. Auf der kurzen Strecke zwischen Brücke und Innenstadt passiert man den Friedhof und ein Wohngebiet. Als ich die Rampe herunterfuhr, kam mir von weitem ein Mann in den Blick, der am Straßenrand stand. Er starrte auf etwas. Seine Tasche stand nicht weit daneben. Ich rätselte. Als ich näher kam, entpuppte sich das „Ding“ als Schlange. Eingeringelt und starr lag sie da. Was war mit ihr? War sie tot?

Ich stoppte, stellte mein Fahrrad ab und sprach den jungen Mann an: „Oh eine Schlange! Was ist mit ihr?“ „Hey Mann, echt krass – eine Schlange“, meinte er. „Hier in Deutschland, ich glaube es nicht.“ Im Grunde sprach er nicht wirklich mit mir. Mein Hinzukommen schien ihm Anlass, seinem Erstaunen laut kund zu tun. “Echt krass!“, wiederholte er. „Das muss eine Ringelnatter sein“, war meine Vermutung, „die ist nicht giftig“. Wir beäugten das Tier, konnte keine Verletzungen sehen. Wir spekulierten: Lebst sie noch? Überfahren wurde sie offensichtlich nicht. Was tun? Wir blickten uns um und suchten nach etwas, nach einem Stock oder Ast. Sie anzufassen getrauten wir uns nicht. In der Hecke beim Friedhof fanden wir etwas. Der junge Mann schob und schubste die eingeringelte und starre Schlange vor sich her, hinüber auf den mit Gras bewachsenen Seitenstreifen vor der Friedhofshecke. An der Schwanzspitze zuckte sie noch. Ich sagte tschüss und fuhr weiter.

Zuhause erzählte ich meinem Freund von der Schlange. In einem Buch über die heimische Tier- und Pflanzenwelt fand ich eine Abbildung und meine Vermutung bestätigt. Im schlauen Internet erfuhr ich, dass Ringelnattern sich meist totstellen, wenn sie sich bedroht fühlen. Manchmal wehren sie sich, aber der Biss ist nicht giftig und schadet uns Menschen nicht. Ringelnattern können auch ein stinkendes Sekret absondern, wenn sie angefasst werden. Also lebte sie wohl noch? Wie war sie nur dahin gekommen? Nicht weit vom Friedhofsgelände ist der Bahndamm und hinter dem nahegelegenen Krankenhausgelände fließt zwischen Sträuchern und sumpfigen Wiesen der Klosterbach. Ob sie in dem Gebiet ihr zuhause hat?

Zweite Begegnung (52°55'52.3"N 8°31'46.4"E)
Prinzhöfte, Samtgemeinde Harpstedt, Landstraße Rundebusch / Abzweigung Wunderburg

An einem schönen Sonntag Anfang September 2023 waren wir auf Radtour in Wildeshausen. Auf dem Rückweg fuhren wir durch das Waldstück Hölscher Holz und radelten weiter auf der Landstraße „Rundebusch“ in Richtung Prinzhöfte und Harpstedt. Von weitem beobachteten wir zwei Leute, die in der nächsten Abzweigung vor ihrem Auto standen und irgendwas auf der Landstraße suchten oder beobachteten. Als wir näherkamen, sahen wir: Dort eingeringelt lag eine Schlange auf der Straße. Mit geübtem „Kennerblick“ und durch die Erfahrung vor ein paar Wochen schlau geworden, wussten wir: es handelte sich um eine Ringelnatter. Der Asphalt hatte sich durch die Sonne aufgeheizt und bot ihr einen idealen Platz zum Aufwärmen. Vor uns Menschen stellte sie sich aber tot und musste doch runter von der Straße! Während mein Freund nach einem Stock Umschau hielt, sicherten wir drei anderen die Fahrbahnseite ab, auf der sich die Ringelnatter sonnte. Mit fuchtelnden Armen stellten wir und vor sie hin, damit vorbeifahrende Autos auswichen und einen Bogen schlugen. Der junge Mann überlegte schon, ob er sein Auto mit Warnblinker auf die Fahrbahn stellen sollte. Da zum Glück bewegt sie sich, schlängelte - dirigiert vom Stock - Richtung Straßenrand und huschte im Gras davon. Gerettet denken wir und freuen uns über den Erfolg.

Der junge Mann erzählte, er sei zuerst vorbeigefahren. Weil er sich gewundert habe, was da gelegen habe, sei er umgekehrt. Es habe ihm keine Ruhe gelassen. Ich erzählte kurz von der Schlange in Bassum und meinte, dass ich vielleicht deshalb gleich reagiert hätte. Welch ein Zufall, zwei Schlangen in so kurzer Zeit! Wir bedankten uns gegenseitig und waren froh, Retter in der Not gewesen zu sein.

Ein früheres Erlebnis in Griechenland

Dass Schlangen, die sich auf der Straße sonnen, nicht immer gerettet werden, musste ich vor etlichen Jahren während eines Urlaubs in Griechenland erleben. Wir spazierten entlang einer kleinen Landstraße und es war heiß, als vor uns eine etwa ein bis eineinhalb Meter lange Schlange über die Straße kroch. Sie war schwarz mit gelben Einsprengseln. Just in dem Moment raste ein junger Mann auf einer Enduro auf uns zu. Obwohl er von weitem schon ansetzte, um uns auszuweichen, schlug er extra einen Haken und fuhr absichtlich über die Schlange hinweg. Da lag sie und war sofort tot. Mir kam es so vor, als würde er sich über unsere erschrockenen Gesichter nur wundern.

Eine Kreuzotter oder Ringelnatter am Kocherkanal

In meiner alten Heimat, Süddeutschland, wo ich aufgewachsen bin, sah ich einmal eine Schlange eingeringelt oben auf dem Damm am Kocherkanal liegen. Es muss Sommer gewesen sein. Mit Bäumen entlang dem Kanal, nicht weit von einer Eisenbahnbrücke entfernt, ist es eigentlich eine schattige Ecke. Aus Respekt und weil ich die Schlange nicht provozieren wollte, ging ich schnell vorüber. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Kreuzotter war. Aber in meinem Gedächtnis prägte sich ein, dass ich eine Kreuzotter gesehen habe. Vermutlich habe ich zuhause davon erzählt und wurde aufgrund meiner Beschreibung von den anderen darin bestärkt. Die Kreuzotter, eine Giftschlange, ist übrigens Reptil des Jahres 2024.

Beispiel einer Schlangengeschichte in der Literatur

Christoph Ransmayr erzählt in seinem Buch „Atlas eines ängstlichen Mannes“[1] von seinen Reisen um die Welt. In Brasilien besucht er einen Viehzüchter, als Grundherr ein sogenannter Fazendero, und lässt sich von ihm über das Weideland führen. Korallenschlangen mit ihrem tödlichen Biss sind eine lauernde Gefahr für die Rinder. Die Kälberställe sind deshalb schlangensicher.

Auf der Rückfahrt nach Sao Paulo rumpelt der Pick-up des Viehzüchters über die „… rote Erdstraße …“, als die beiden „… etwas Dunkles auf der Straße liegen sahen, …“ Christoph Ransmayr hielt es „… aus der Entfernung für einen Balken oder einen prallen Wasserschlauch im Umfang einer Regenrinne …“ Der Viehzüchter machte eine Vollbremsung: eine Anakonda querte die Straße. Sie musste „… sechs, sieben Meter oder länger …“ gewesen sein, denn, während ihr Kopf bereits auf der anderen Straßenseite im Gebüsch verschwand, befand sich „… ihr Schwanz noch im Dickicht an der linken Straßenseite verborgen.“ Doch ein entgegen-kommender Lastwagen mit Landarbeitern, die hinten auf der Pritsche standen, bretterte ohne Bedenken über die Schlange hinweg. Das Winken und Wedeln der anderen beiden, Ransmayr und sein Gastgeber, schien den Lastwagenfahrer nicht zu beeindrucken, mit voller Absicht rumpelte er über das Rückgrat der wehrlosen Riesenschlange, die sich noch mit ihrer vermutlich letzten Kraft ins Dickicht ziehen konnte.

Man muss Christoph Ransmayrs Erzählung freilich im Original lesen. Wir lesen und verstehen aber, dass solche Erlebnisse es wert sind, aufgeschrieben zu werden. Sagen sie uns doch viel über uns Menschen und wie unterschiedlich wir doch gestrickt sind. Ach ja, zu erwähnen ist noch, dass der Fazendero in Christoph Ransmayrs Geschichte seine Leute anwies, die Häute von erschlagenen Korallenschlangen an die Stallwände zu nageln. Das soll die Schlange, „… den besiegten Dämonen, …“ abhalten. Es soll helfen, die Gefahr sei weniger geworden.


21.05.2024 / Elsbeth Kautz
Datum / Beitrag von Benutzer-Nick-Name


Anmerkung

[1] Christoph Ransmayr: Atlas eines ängstlichen Mannes. Fischer TaschenBibliothek. Frankfurt/Main 2012, Die Königin der Wildnis: S. 148-158, zitierte Stellen Seite155f.


Abbildungen

Foto oben: Andreas Eichler
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2017.07.17.-19-Tiefer_See_oder_Grubensee-Storkow_(Mark)--Ringelnatter.jpg
Beschreibung: Ringelnatter - Natrix natrix. Aufgenommen am Tiefen See oder Grubensee, Storkow (Mark), Bran-denburg.
Aufnahmedatum: 17. Juli 2017
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ringelnatter_auf_Stra%C3%9Fe.JPG

Foto Mitte: Elsbeth Kautz
Beschreibung: Straße beim Friedhof in Bassum.
Aufnahmedatum: 06.05.2024

Foto unten: Konrad Lackerbeck
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ringelnatter_auf_Stra%C3%9Fe.JPG 
Beschreibung: Ringelnatter auf Straße in Scheuereck, Bayerischer Wald
Aufnahmedatum: 8. Mai 2008


Fotoalbum, Datenblatt und Druckversion siehe Sammlung